Ich hab Pädagogik, Religionswissenschaft und Strafrecht studiert, bin verheiratet, Mutter von zwei Kindern und starte mit knapp 40 Jahren mit einer Albumproduktion. Wieso tue ich das?? (Bild: Jarryd Lowder)
Es gibt eine ganz einfache Antwort dazu: Weil ich es liebe und erst jetzt dazu bereit bin. Wenn Euch diese Antwort genügt, dann sehen wir uns vielleicht bei meinem nächsten Blog. Falls nicht, kommt hier die etwas ausführlichere Version.
Warum habe ich nicht Gesang studiert?
Singen war für mich schon von Klein auf eine Herzensangelegenheit. Ich liebte es aufzutreten und mit anderen gemeinsam zu proben. Meine besten Erinnerungen gelten meiner Schulzeit in der Kantonsschule Glarus, wo ich mit Sarah Büchi und Andrea Tschudi in den Pausen die Treppen zum Musikzimmer runterrannte, um dreistimmige Songs zu singen. Als Sarah sich für die Jazzschule anmeldete, stellte ich mir die Frage: Will ich auch? Doch meine Zweifel waren zu gross. Ich wollte mich nicht für eine Stilrichtung entscheiden, dafür war mein Interesse und meine Freude an der Musik zu breit gefächert. Die Angst, während der Studiumszeit den Spass am Singen zu verlieren, weil es zur Arbeit werden und einen gewissen Zwang enthalten könnte, war zu stark.
Also wie weiter?
Ich wollte studieren, um einen Abschluss zu haben und mir damit möglichst viele Türen offenzuhalten. Trotz meinem Interesse an der Psychologie entschied ich mich für das Hauptfach Pädagogik/Pädagogische Psychologie, da es mir wichtig war, meine zwei Nebenfächer selber auswählen zu können (damals gabs noch keine Credits). Strafrecht und Religionswissenschaft waren die richtige Mischung für mich.
Und wo bleibt da die Musik?
- Sarah Büchi, Erika Stöckli (beide studierten an der Jazzschule Luzern) und ich bildeten das Trio „Triangle“. Mit Gitarre und drei Stimmen ausgerüstet starteten wir als Strassenmusikerinnen. Wir verdienten etwas Geld, hatte sehr viel Spass und wurden immer wieder für Auftritte gebucht.
- In Fribourg, wo ich studierte, sang ich in einer Jazz-Formation mit (den Namen habe ich vergessen).
Nach dem Studium meldete sich mein Wunsch nach mehr Musik. Ich suchte mir den Job als Hortleiterin aus, mit dem Plan, parallel dazu meine Musik auszubauen. Mit Rahel Ulmi am Klavier komponierte ich meine ersten Songs. Gemeinsam als „Lemon goes music“ gaben wir unser erstes (und letztes) Konzert. Weshalb?
Leben ist das was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen. John Lennon
Wir gehen für drei Jahre nach Sierra Leone!!!! Mein Mann Philipp, der an meinem Konzert „Lemon goes music“ mit seinen Freunden am eigenen Polterabend mit Schottenrock auftauchte, unterschrieb bei der AGEH einen Drei-Jahres-Vertrag als Berater in einer lokalen Organisation (Ziviler Friedensdienst). Ich wurde eine MAP (mit-ausreisende-Parterin, yeah!).
Und wo bleibt da die Musik?
Ich Glückspilz! Sierra Leone, damals eines der ärmsten Länder, hatte in Freetown eine Musikschule, die Ballanta Academy for Music. Aunty Kitty, wie sie von allen genannt wurde, hat diese Schule mit viel Herzblut, Geduld und Durchhaltevermögen aufgebaut. Ich wurde mit offenen Armen empfangen und sofort eingestellt: Ich verdiente umgerechnet knapp einen Euro pro Klavier- oder Gesangsstunde, die ich unterrichtete. Ich war happy! Doch unterrichten war noch nie mein eigentliches Ziel: Ich wollte singen und mit anderen MusikerInnen eine Band aufbauen. Wir gründeten die Band Groovy Colours. Ich kann nicht in Worten beschreiben, was mir Egerton (Klavier), Melvin (Trompete) und Michael (Gitarre, Bass und Gesang) bedeuten und was sie mich alles gelehrt haben. Die Vielfalt des Lebens und der Kultur, zusammen mit der Musik und dem menschlichen Miteinander trage ich wie ein Schatz in meinem Herzen! Zahlreich waren unsere Auftritte (sogar vor dem Präsidenten an einer offiziellen Feier) und gemeinsamen Erfahrungen, und wir lernten unsere Eigenheiten, Probleme und Vorstellungen kennen und respektieren.
Und was geschah dann?
Tja, dann wurde der Fokus auf etwas anderes gerichtet: Während der Zeit in Sierra Leone wurde ich schwanger und mein erster Sohn kam auf die Welt. Er war überall mit dabei (Kinderwagen werden in Freetown für den Verkauf von lokale Süssigkeiten gebraucht, Babys werden auf den Rücken gebunden). Unsere drei Jahren waren unterdessen vorbei und wir kamen wieder nach Hause. Ich wünschte mir Struktur, Herausforderung und körperliche Eigenständigkeit und wollte Hauptverdienerin werden. Mit einer Stelle als Projektleiterin bei der Gesundheitsförderung Blaues Kreuz Schweiz in Bern und einem bescheidenen Familienbudget war dies möglich.
Und wo bleibt die Musik?
Das war in dieser Zeit tatsächlich eine ziemliche Herausforderung. Ich hatte in Bern kein musikalisches Netzwerk und ausserdem nicht gerade viel Zeit zur freien Verfügung. Was konnte ich auf unkomplizierte Weise sofort unternehmen? Alleine Strassenmusik machen. Puuhhh… ok. Da brauchte ich einiges an Überwindung! Aber diese Zeit hat mir unheimlich viele, wunderbare Erfahrungen beschert und mich auch mutiger werden lassen. Ich hatte Publikum, durfte singen, musste nichts organisieren und erhielt auch noch Geld. Nach zwei Jahren wurde ich erneut schwanger und unser Familien-Arbeits-Hausfrau/mann-Konzept wurde neu überdacht: Wir ziehen um! Dieses Mal zurück ins Glarnerland und in ein Generationenhaus mit meinen Schwiegereltern.
Wir gelangen so langsam ans Ende, es gibt nur noch einen kleinen Zwischenschlenker. Ein Jahr blieb ich mit den Kids und als Hausfrau zuhause, danach fiel mir das Dach auf den Kopf. Geduld (nicht meine Stärke!), Durchhaltevermögen und etwas Glück verschafften mir ein Mini-Pensum an der Fachmittelschule als Lehrperson für Pädagogik und Psychologie. Und wir gründeten Long Couleur: David Kobelt, Meret Köhler und ich. Die Musik war wieder IN MY HOUSE!!
Uuuuuund jetzt??
Je länger und stärker wurde der Wunsch, mehr Zeit für die Musik zu investieren. Ich befasste mich mit meinen versteckten Erwartungen, Vorstellungen und Wünsche. Worum geht’s mir in der Musik? Was möchte ich erreichen? Wie viel Musik möchte ich in meinem Leben? Was bin ich bereit zu tun und zu geben? Gibt es viele Aber und Falls oder Wenn?
Es war keine Entscheidung „Jetzt oder Nie“ oder „Alles oder Nichts“. Der Wunsch nach mehr wurde immer stärker. Die Bereitschaft wuchs, Aufgaben zu übernehmen, die mit der Musik in Zusammenhang standen, ich jedoch nicht unbedingt gerne machte. Die Motivation und der Drang, Eigenes zu Produzieren und den Weg zu einem eigenen Album bis ans Ende zu gehen, wurde grösser und grösser. Es war eine grundsätzliche Bereitschaft in mir, Hochs und Tiefs zu erleben ohne gleich aufzugeben. Eine Entscheidung, mich zu zeigen und auch für Kritik offen zu sein. Etwas zu wagen ohne zu wissen, ob es Erfolg hat oder nicht. Es war die Entscheidung, den Weg zu gehen und Musik zu meinem Lebensinhalt zu machen.
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